Unser aktueller Hingeschaut-Beitrag befasst sich mit einer Beobachtung, die viele von Euch sicher auch schon gemacht haben: Die Präsidentschaftswahl in den USA ist ein echtes Dauerthema. Ob Berichte über Fernsehduelle, Einschätzungen von US-Korrespondent*innen oder Statements der beiden Kandidaten – Soziale Medien, das Zeitungsregal und Nachrichtensendungen sind voll damit. Doch warum ist das eigentlich so? Und wer sind diese Wahlmänner und Wahlfrauen, von denen man überall hört? Diese und andere Fragen haben wir an den Experten Professor Dr. Hubert Zimmermann gestellt. Der Wissenschaftler arbeitet am Institut für Politikwissenschaft der Philipps-Universität Marburg.

  1. Lieber Herr Prof. Zimmermann, die bevorstehende US-Wahl ist allgegenwärtig. Nachrichtensendungen, Zeitungsartikel und die sozialen Medien sind voll mit Wahlprognosen, Wasserstandsmeldungen und Co.
    Warum ist das so? Oder anders gefragt: Warum ist es für Deutschland eigentlich so wichtig, wer Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wird?

Deutschland und die USA arbeiten seit dem Ende des 2. Weltkriegs sicherheitspolitisch, militärisch und wirtschaftlich eng zusammen. Auch wenn Deutschland nicht mehr auf den Schutz der USA angewiesen ist, ist die Zusammenarbeit bei vielen internationalen Krisen, aber auch bei der Bekämpfung des Terrorismus, fundamental. Wirtschaftlich sind wir eng verflochten: die Gewinne zahlloser Firmen und viele Arbeitsplätze hängen vom Handel mit den USA ab. Viele Ziele, zum Beispiel beim Umweltschutz, können Deutschland und Europa kaum ohne Kooperation der USA erreichen. In all diesen Fragen ist es extrem wichtig, ob in den USA eine Regierung an der Macht ist, für die internationale Zusammenarbeit wichtig ist.

  1. In Hessen darf man ja ab 18 Jahren wählen. Wie sieht das in den USA aus?

Auch in den USA darf man als Bürger ab 18 wählen, falls man den Wohnsitz in einem der 50 Bundesstaaten hat oder hatte, und keine Gefängnisstrafe verbüßt oder, in einigen Staaten, verbüßte. Davon sind bei jeder Wahl mehrere Millionen US-Bürger betroffen 

  1. Im Jahr 2016 hat Donald Trump die Wahl gewonnen, obwohl er fast drei Millionen Stimmen weniger erhalten hat als seine Gegenkandidatin Hillary Clinton. Wie geht das?

Das amerikanische Wahlsystem sieht keine Direktwahl des Präsidenten vor. Es wird getrennt nach Bundesstaaten gewählt. Jeder Bundesstaat entsendet eine bestimmte Anzahl von Wahlmännern oder -frauen in das sogenannte Electoral College. Wer dort die Mehrheit hat, das heißt 270 Wahlmänner/-frauen, wird Präsident. Die Bundesstaaten entsenden je nach Größe eine unterschiedliche Zahl von Wahlmännern/-frauen (Kalifornien z.B. 55, Wyoming nur 3).  Die Partei, die die Mehrheit in einem Staat erringt, bekommt alle Wahlmänner- /frauenstimmen des Staates (außer in Maine und Nebraska). Die bevölkerungsarmen Staaten sind jedoch überrepräsentiert, so dass es vorkommen kann, dass eine Partei die bevölkerungsreichen Staaten gewinnt und damit die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, aber dennoch weniger Wahlmänner/-frauenstimmen hat.

  1. Joe Biden kandidiert für die Demokraten und Donald Trump geht für die Republikaner ins Rennen. Da ist ja nicht wirklich viel Auswahl. Warum ist das so?

Auch das liegt am Wahlsystem. Da nur die Partei, die die Mehrheit in einem Staat gewinnt, auch Wahlmänner-/frauenstimmen bekommt, haben kleinere Parteien, die erst einmal nur wenige Prozente erzielen, kaum eine Chance, sich durchzusetzen.

  1. Trump hatte in verschiedenen Interviews offengelassen, ob er das Wahlergebnis bei einer Niederlage akzeptieren wird. Ist das aus Ihrer Sicht tatsächlich denkbar? Was würde in einem solchen Fall passieren?

Das ist durchaus möglich, wenn das Ergebnis knapp ist. Die Auszählungen in den einzelnen Staaten sind oft fehlerbehaftet, aufgrund veralteter Technik. Deshalb kommt es oft zu Neuauszählungen. Dazu kommen die Briefwahlen, die nach und nach eintrudeln und das endgültige Ergebnis verzögern können. Da in einigen Staaten (den sogenannten Swing States) die Ergebnisse oft extrem knapp sind, aber, wie erwähnt, der erstplatzierte Kandidat alle Wahlmännerstimmen erhält, können kleine Schwankungen in einem Staat die Wahl für das ganze Land entscheiden. Das ist zum Beispiel 2000 geschehen, als der Staat Florida mit nur minimalen Vorsprung an die Republikaner ging und die Gesamtwahl im ganzen Land entschied. Damals wurde die Wahl des Republikaners George W. Bush letztlich erst durch das höchste Gericht der USA endgültig bestätigt, da das Gericht verfügte, weitere Auszählungen zu stoppen. Ähnliche knappe Auszählungen könnten auch diesmal passieren. Ebenfalls nicht ganz auszuschließen sind massive Unruhen aufgrund von Auseinandersetzungen zwischen den rivalisierenden politischen Kräften, wenn der Wahlausgang umstritten ist oder ein Kandidat seine Wähler zum Widerstand aufruft. Da zwischen Wahl und Amtseinführung des neuen Präsidenten mehr als 2 Monate liegen, können wir uns auf einige Turbulenzen einstellen.

  1. Haben Sie einen Tipp für den Wahlausgang?

Wenn nichts völlig Überraschendes passiert, wird Biden gewinnen. Trump hat viele Staaten 2016 nur knapp gewonnen, und es gibt genügend Gründe für viele Wähler und Wählerinnen mit seinen Leistungen unzufrieden zu sein. Die Umfragen sind denn auch eindeutig.

Hubert Zimmermann
  1. Sie sind Professor am Institut für Politikwissenschaft der Marburger Philipps-Universität. Ihr Schwerpunkt ist hierbei der Bereich „Internationale Beziehungen“. Womit befassen Sie sich in Ihrem Beruf? Was interessiert Sie an Ihrer Arbeit besonders?

Grundsätzlich befasse ich mich mit den Beziehungen zwischen Staaten, mit einem besonderen Schwerpunkt auf die EU, USA und Ostasien. Dabei geht es mir vor allem darum, zu erklären, weshalb Staaten sicherheitspolitisch oder wirtschaftlich zusammenarbeiten oder dies eben nicht tun, bis hin zu bewaffneten Konflikten. Warum ist diese Zusammenarbeit oft so schwierig? Darüber forsche ich und ich unterrichte dies auch in meinen Seminaren. 

Ihr wollt mehr wissen und euch genauer informieren? Dann klickt Euch durch unsere Linksammlung. Hier haben wir Infos und Anregungen zum Weiterrecherchieren zusammengestellt.

Wahlmänner? Wahlfrauen? Swing states? Ja, das Wahlsystem der USA unterscheidet sich grundlegend vom deutschen Wahlsystem. Folgender Film fasst die wichtigsten Eckpunkte zusammen: https://www.bpb.de/internationales/amerika/usa/305443/us-praesidentschaftswahl-2020

Who is who? Hier könnt Ihr mehr über die Präsidentschaftskandidaten Joe Biden und Donald Trump erfahren: https://uswahl.lpb-bw.de/uswahl2020-kandidaten

Biden oder Trump? Wer liegt vorne? Werft einen Blick auf die aktuellen Umfragewerte und klickt hier: https://uswahl.lpb-bw.de/us-wahlen-umfrageergebnisse

Was hat eine lahme Ente mit dem Amtsantritt des Präsidenten zu tun? Eine Antwort findet sich zum Beispiel hier: https://www.bpb.de/internationales/amerika/usa/235644/faq

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