Diesmal führt uns unser Hingeschaut-Bild an einen Ort, in dessen Nähe viele von uns häufig unterwegs sind. Er liegt mitten in der Innenstadt und die angrenzende Bushaltstelle (die sogar den Namen des Ortes trägt), ist ein echter Knotenpunkt in unserer Stadt.
Richtig: Gemeint ist der Garten des Gedenkens.

Immer wieder fallen uns dort Kerzen und Blumen auf. So auch in den letzten Wochen. Woran wird hier eigentlich gedacht?

Diese und andere Fragen klären wir mit den beiden Experten Christoph Becker vom Fachdienst Kultur der Universitätsstadt Marburg und Klaus Peter Friedrich aus der Marburger Geschichtswerkstatt.

Christoph Becker als Zeichnung

Christoph Becker über sein Tätigkeitsfeld:
Der Fachdienst Kultur beschäftigt sich im Wesentlichen mit der Organisation und Förderung der Kulturarbeit in Marburg. In diesem Zusammenhang betreuen wir auch den „Garten des Gedenkens“, sind dabei aber lediglich für die jährliche Erneuerung der „Zettelkästen“ zuständig.“

Klaus Peter Friedrich

Klaus Peter Friedrich beschreibt die Idee des Vereins wie folgt:
Wir, in der Geschichtswerkstatt,
blicken kritisch auf die lokale Vergangenheit.

Christoph Becker: Der Name stammt von den beiden Künstlern Oliver Gather und Christian Ahlborn, die 2009 im Auftrag der Stadt den Entwurf zur Neugestaltung des ehemaligen Synagogengeländes angefertigt haben. Der Begriff „Garten“ erinnert uns daran, dass Gedenken nichts ist, was mit der Errichtung eines Denkmals ein für alle Mal abgeschlossen ist, sondern etwas, das immer wieder und immer weiter wachsen muss.

Klaus-Peter Friedrich: In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 kam es an vielen Orten im nationalsozialistischen Deutschland zu Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung und ihre Einrichtungen. Jüdische Deutsche wurden überfallen und misshandelt, ihre Wohnungen und Gotteshäuser verwüstet. Damit wollte das NS-Regime sie zwingen, das Land rasch zu verlassen. Nach dem Vernichtungssturm, der vom 7. bis 13. November andauerte, waren Hunderte getötet und Dreißigtausend in Konzentrationslager verschleppt, wo infolge der Lagerhaft noch einmal Hunderte Menschen starben.

Klaus-Peter Friedrich: In den Morgenstunden des 10. November 1938 legten Angehörige der Sturmabteilung (SA) Feuer in der Marburger Synagoge. Die SA war eine paramilitärische Unterorganisation der NSDAP, der Tausende Marburger angehörten. Die schließlich herbeigerufene Feuerwehr durfte nur die benachbarten Gebäude schützen. Die Mauern des nur vier Jahrzehnte alten Gotteshauses, die dem Brand getrotzt hatten, wurden noch am gleichen Tag gesprengt.

Klaus Peter Friedrich: Nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft wohnten jüdische Gerettete aus Osteuropa in Marburg, ehe sie die Chance zur Auswanderung ergriffen. Eine Jüdische Gemeinde gab es danach zunächst nicht. In den 1990er Jahren, als die Jüdische Gemeinde sich rasch vergrößerte, gab es Überlegungen, die Synagoge in der Universitätsstraße wieder zu errichten. Doch der Saal der Synagoge wäre zu groß gewesen, die Raumaufteilung hätte den vielfältigen Ansprüchen heutiger Gemeindearbeit nicht entsprochen, und ein Wiederaufbau wäre nur mit großen finanziellen Anstrengungen durchführbar gewesen.

Christoph Becker: Seit 2005 ist die Synagoge der Jüdischen Gemeinde in der Liebigstraße.

Christoph Becker: In den zehn Zettelkästen im Garten des Gedenkens teilen Einwohner*innen der Stadt Marburg ihre ganz persönlichen Gedanken zum Verbrechen der Judenverfolgung im Dritten Reich. Das können selbst verfasste Texte aber auch Zitate sein. Die Auswahl wird jedes Jahr zum 9. November einer anderen Institution der Stadtgesellschaft übertragen. In diesem Jahr hat die Islamische Gemeinde die Aufgabe übernommen, im letzten Jahr war es das Kinder- und Jugendparlament der Stadt Marburg. Dabei beleuchtet jede Personengruppe das Thema aus ihrer eigenen Perspektive. Durch die jährliche Neubestückung wird deutlich, dass das Gedenken an unsere ehemaligen jüdischen Mitbürger*innen in Marburg lebendig bleiben soll

Die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 trägt den Fachbegriff Reichspogromnacht.
Der folgende Link führt Euch zum Filmbeitrag „Erinnerung sichtbar machen“. Der Beitrag ist im Rahmen eines Wettbewerbs von Schülerinnen und Schülern erstellt worden. Die haben recherchiert was in ihrer Heimatstadt damals genau passiert ist:
“80 Jahre Reichspogromnacht – Erinnerung sichtbar machen” – Der Film on Vimeo

Zentrale Begriffe werden zum Beispiel auch hier zusammengefasst:
https://www.zdf.de/kinder/logo/eine-grausame-nacht-100.html

Hier geht es zur Homepage des Marburger Garten des Gedenkens:
Zettelkasten (garten-des-gedenkens.de)

Mehr über die Geschichte der Marburger jüdischen Gemeinde findet Ihr:
Geschichte – Jüdische Gemeinde Marburg (jg-marburg.de)